Ich weiß noch genau, wie ich während meiner Ausbildung zur Yogalehrerin spätestens um 5:30 aus dem Bett auf die Yogamatte purzelte. Die Matte hatte ich schon am Vorabend mit einem sanften Nachtlicht bereit gelegt im Nebenraum. Und mein fast 3-jähriges Kind schlief inzwischen auch weiter, ohne dass ich daneben lag. Perfekte Voraussetzungen also für Me-Time, noch bevor alle anderen aufstehen.
Wenn ich jedoch ganz ehrlich bin, dann war frühes Aufstehen für mich schon immer ein Graus. Die Wahrheit ist, ich bin ein fürchterlicher Morgenmuffel. Während mein Mann mich jeden Morgen liebevoll fragt, wie ich geschlafen habe und überhaupt direkt lossprudelt, kriege ich nur schwer die Augen und den Mund auf. Vor 9 Uhr braucht eigentlich niemand mit mir reden, weil ich einfach noch nichts zu sagen habe. Dass das mit Kindern natürlich so nicht mehr geht, brauche ich bestimmt nicht zu erwähnen. Aber wenn ich könnte, wie ich wollte, dann würde ich freiwillig ganz sicher nicht um 7 Uhr aufstehen und erst recht nicht um 5. Und trotzdem hab ich das eine ganze Zeit lang brav gemacht.
Nicht nur Yogis beginnen den Tag im Morgengrauen
Auch Experten empfehlen: wer erfolgreich sein will, startet früh in den Tag. In einer auf Leistung ausgelegten Gesellschaft scheint dieser Ansatz durchaus sinnvoll. Selbstfürsorge und Haushalt sind noch vor der Arbeit erledigt, und der Kopf ist frei für Erwerbsarbeit und der Abend frei von Verpflichtungen.
Ach ja, wirklich?
Zumindest in meiner Welt geht diese Rechnung seit fast 7 Jahren nicht mehr so ganz auf, weil ich seitdem nicht mehr nur für mich verantwortlich bin. Ein Schulkind und ein Baby fordern ihre Aufmerksamkeit und es ist ihnen ganz sicher herzlich egal, dass ihre Eltern erfolgreicher sein könnten, wenn sie den Tag mit einer Morgenroutine beginnen würden. Auch der Abend ist selten zur freien Verfügung, die Nächte mit Baby nicht immer erholsam.
Sprechen wir von Morgenroutine, dann geht diese also offenbar auch mit gewissen Privilegien und persönlichen Ressourcen einher. Ich muss es mir leisten können, früh aufzustehen und auch freie Kapazitäten dafür haben.
Aus meiner Sicht gibt es auf jeden Fall 5 gute Gründe, warum eine Morgenroutine für dich möglicherweise nicht das Richtige ist.
1 Dein Schlaftyp
Auch wenn Experten sich über den Sinn einer Routine am Morgen einig sind: Wissenschaftler bestätigen auch, dass es verschiedene Schlaf- oder Chronotypen gibt. Da gibt es die Eulen und die Lärchen und auch einige Mischtypen. Der Schlafrhythmus ist angeboren.
Zwar können wir ihn durchaus beeinflussen und tun das ja auch täglich dank Schule und Beruf. Würden wir jedoch völlig frei von allem leben, würde unser Körper immer wieder zu seinem individuellen Rhythmus zurückkehren. Im Umkehrschluss heißt das: Wer seinem natürlichen Schlafrhythmus folgt, sorgt langfristig für mehr Wohlbefinden und kann seine Produktivität natürlich steigern.
Bist du also eine Lärche, dann feel free am frühen Morgen aus dem Bett zu fallen für deine morgendliche Routine. Bist du eine Eule, dann schau, welche Tageszeiten sich für dich besonders eignen, um eine regelmäßige Entspannungpraxis zu integrieren.
Für mich als Mischtyp mit Tendenz zur Eule ist das die Zeit, wenn alle aus dem Haus sind und das Baby seinen ersten Tagschlaf hält. Außerdem nutze ich gern kleine Zeiteinheiten, die sich zwischen meinen To-dos finden, in denen ich mich bewusst meinem Atemfluss zuwende. Das bedeutet auch, dass ich besonders achtsam mit mir in meinem Alltag umgehe, um solche Zeitfenster überhaupt zu bemerken. Darauf gehe ich in einem anderen Beitrag noch einmal genau ein.
Letztendlich soll es dir vor allem Spaß machen, dich um dich zu kümmern und nicht ein weiteres To do sein, dass du auf deiner Liste abhaken kannst.
2 Dein Alltag
Auch deine Lebensumstände haben Einfluss darauf, wie du eine tägliche Selbtfürsorgepraxis für dich gestalten kannst.
Als Pflegekraft im Schichtdienst wird eine Morgenroutine für dich vermutlich nicht immer umsetzt bar sein. Aber auch, wenn du zur Arbeit pendelst, ganz gleich ob mit Auto oder Öffis: die Zeit für den Fahrweg musst du auf deine Arbeitszeit drauf rechnen.
Und wenn du wie ich auch für eine Familie verantwortlich bist, dann kommen noch ein paar andere To Does oben drauf.
Von Kinder wecken und anziehen bis hin zu Schulwegen, Spielverabredungen und Einschlafbegleitung ist auch das Zeit, die dir nicht völlig frei zur Verfügung steht.
All das können gute Gründe sein, warum eine frühe Morgenroutine nicht zu dir passt und sich andere Zeiten möglicherweise viel besser für dich eignen. Ich selbst nutze super gern Wartezeiten für eine kleine Atempraxis. Und die Einschlafbegleitung meiner Kinder ist schon seit langer Zeit fester Bestandteil meiner Selbstfürsorge. Wenn alle zur Ruhe kommen, gönne auch ich mir diese Zeit als Ruhezeit.
3 Deine Bedürfnisse
Eine starre Morgenroutione ignoriert neben dem oben bereits erwähnten Schlafbedürfnis möglicherweise auch andere Bedürfnisse.
Wenn du in einer Partnerschaft lebst, wirst du vielleicht lieber mit Körperkontakt wach, bevor du dich auf deine Matte begibst. Vielleicht frühstückst du aber auch lieber erst ganz in Ruhe oder willst den Tag mit einer warmen Dusche beginnen.
Seit ich mich so intensiv mit meiner Atmung beschäftige, komme ich auch immer mehr in Kontakt mit dem, was ich eigentlich brauche. Und besonders früh aufstehen, um vor meiner Familie schon eine morgendliche Routine abzuleisten, gehört nicht dazu. Ich werde am liebsten gemeinsam mit meinen Liebsten wach und freue mich dann auf die Ruhe, wenn alle aus dem Haus sind und mein Baby wieder schläft. Erst dann kann ich mich voll und ganz auf mich selbst einlassen und mich mit meiner ganz persönlichen Routine beschäftigen.
4 Dein Nervensystem
Auch der Zustand deines Nervensystems spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, Routinen für Selbstfürsorge in dein Leben zu integrieren.
Wenn du also entgegen deinem Schlafbedürfnis immer früh aufstehst, wird dein Nervensystem auf lange Sicht eher gestresst sein, obwohl doch eigentlich Entspannung dein Ziel ist. Die beste Morgenroutine wird dir also nix bringen, wenn du dich wieder und wieder dazu überreden musst.
Und auch die Idee, dass eine frühe Morgenpraxis produktiver macht, stelle ich in Frage. Aus meiner Sicht ist eine Routine genau dann günstig, wenn sie dein Nervensystem und somit dein Leben positiv beeinflusst. Das hält dich nicht nur langfristig gesünder, sondern macht dich auch resilient für all die Dinge, die das Leben für dich bereit hält. Und damit komme ich auch schon zum letzten Punkt.
5 Deine Flexibilität
Mit Flexibilität meine ich nicht deine Fähigkeit, dich zu einem Brezel zu verknoten, sondern wie flexibel du in deinem Alltag auf Veränderungen reagieren musst.
Wenn die Bahn mal wieder streikt und du einen Plan B für die Anfahrt zur Arbeit brauchst. Oder wenn dein Kind plötzlich krank ist und du im Homeoffice arbeiten musst. Neben den äußeren Faktoren, die gegen eine Morgenroutine sprechen, gibt es natürlich auch immer gute Gründe, die in dir selbst liegen.
Wenn ich zb. morgens ganz früh zum Blutabnehmen beim Arzt bin, dann möchte ich ganz ehrlich nicht noch früher aufstehen, um einen Haken an meinen Morgenpraxis zu setzen. Das zahlt sich für mich einfach nicht aus. Aber ich plane durchaus Zeit im Wartezimmer für mich ein, in der ich mich mit meinem Atemfluss verbinde und hinspüre.
Was bedeutet das für dich?
Nun, das darfst du für dich selbst heraus finden. Ich hoffe jedoch, ich konnte dir zeigen,dass eine Morgenpraxis vielleicht für manche das Nonplusultra ist. Und gleichzeitig ist es völlig ok, wenn du Selbstfürsorge und Entspannung anders praktizierst. Wichtig ist, dass es dir Spaß macht, dir leicht fällt und sich gut in DEIN Leben einfügt. Denn in erster Linie ist Routine etwas, dass du regelmäßig und immer wieder tust. Und dann ist es doch völlig egal, was andere machen oder vermeintliche Experten sagen. Weil du ganz allein Expert*in bist für dich selbst.
Wenn du deine eigene Routine noch nicht gefunden hast oder dir dabei Unterstützung wünscht, schau dir gern mein Coaching Programm an, in dem ich individuell auf dich und deine Bedürfnisse eingehe.